Was ein sinkender Leitzins bedeutet

Beginnend im Sommer 2022, hebten zunächst die FED und wenig später die EZB ihren Leitzins an und beendeten damit die Niedrigzinsära der 2010er Jahre. Anfang Juni 2024 geht die EZB vor und senkt den Leitzins um 25 Basispunkte. Doch was bedeutet das für Anleger? Welchen Einfluss haben die Zinsen und die jüngsten Zinsentscheidungen auf die Depots der Anleger? Lesen Sie hier mehr.

Inhaltsverzeichnis

Was ist der Leitzins?

Der Leitzins ist der von der Europäischen Zentralbank (EZB) festgelegte Zinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank refinanzieren oder Einlagen anlegen können. Er dient als zentrales geldpolitisches Instrument zur Steuerung der Geldmenge im Euroraum und zielt somit auf die Beeinflussung relevanter ökonomischer Größen wie der Konjunktur, der Inflation und des Wechselkurses ab. Das Hauptziel der EZB: die Preisstabilität des Euros.

Die EZB nutzt den Leitzins, um die Kreditvergabebereitschaft der Geschäftsbanken zu steuern. Eine Senkung des Leitzinses verbilligt die Refinanzierung für Banken, was wiederum zu einer Ausweitung der Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher führt.

Dies stimuliert die Investitionstätigkeit und den Konsum, was wiederum zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung und tendenziell zu einer moderaten Erhöhung der Inflation führen kann. Umgekehrt bewirkt eine Erhöhung des Leitzinses eine Verteuerung der Refinanzierung, was die Kreditvergabe der Banken dämpft und somit tendenziell zu einer Abkühlung der Konjunktur und einem Rückgang der Inflationsrate beitragen kann.

Nicht nur ein Leitzins: Die verschiedenen Leitzinssätze der EZB

Häufig wird nur von einem Leitzins gesprochen, doch tatsächlich verfügt die EZB über drei verschiedene Leitzinssätze, die jeweils unterschiedliche Funktionen und Auswirkungen haben:

  • Hauptrefinanzierungssatz: Dieser Zinssatz bildet die Grundlage für mittelfristige Refinanzierungsgeschäfte zwischen der EZB und den Geschäftsbanken.
  • Spitzenrefinanzierungssatz: Der Spitzenrefinanzierungssatz dient der kurzfristigen Liquiditätsversorgung der Geschäftsbanken bei der EZB.
  • Einlagenzins: Der Einlagenzins definiert die Verzinsung von Geldern, die Geschäftsbanken bei der EZB parken.

Leitzins A: Hauptrefinanzierungssatz

  • Definition: Dieser Zinssatz bestimmt die Konditionen, zu denen sich Geschäftsbanken bei der EZB mittelfristig Geld leihen können.
  • Funktion: Der Hauptrefinanzierungssatz dient als zentrale Steuergröße zur Beeinflussung der Geldmenge im Euroraum. Durch Anpassung des Satzes kann die EZB die Kreditvergabebereitschaft der Geschäftsbanken lenken.
  • Auswirkungen: Eine Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes verbilligt die Kredite für Banken, was wiederum zu einer Ausweitung der Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher führt. Dies stimuliert die Wirtschaftstätigkeit und kann tendenziell zu einem moderaten Anstieg der Inflation führen. Umgekehrt bewirkt eine Erhöhung des Satzes eine Verteuerung der Kredite, dämpft die Kreditvergabe und kann somit zu einer Abkühlung der Konjunktur und einem Rückgang der Inflationsrate beitragen.

Leitzins B: Spitzenrefinanzierungssatz

  • Definition: Dieser Zinssatz dient der kurzfristigen Liquiditätsversorgung der Geschäftsbanken bei der EZB.
  • Funktion: Der Spitzenrefinanzierungssatz stellt eine Art Notfallinstrument dar, das den Banken im Falle eines kurzfristigen Liquiditätsbedarfs zur Verfügung steht.
  • Auswirkungen: Der Spitzenrefinanzierungssatz liegt stets über dem Hauptrefinanzierungssatz und wirkt als Korrektivmechanismus. Im Falle einer übermäßigen Kreditaufnahme durch die Banken kann die EZB den Spitzenrefinanzierungssatz erhöhen, um die Liquiditätsversorgung zu verteuern und die Kreditvergabe zu begrenzen.

Leitzins C: Einlagenzins

  • Definition: Dieser Zinssatz definiert die Verzinsung von Geldern, die Geschäftsbanken bei der EZB parken.
  • Funktion: Der Einlagenzins steuert die Attraktivität der EZB als Anlagemöglichkeit für überschüssige Liquidität der Geschäftsbanken.
  • Auswirkungen: Eine Erhöhung des Einlagenzinses kann die Banken dazu motivieren, mehr Geld bei der EZB zu parken, was zu einer Verringerung der zirkulierenden Geldmenge und tendenziell zu einem Rückgang der Inflation führen kann. Umgekehrt kann eine Senkung des Einlagenzinses die Banken dazu anregen, ihre Reserven bei der EZB abzubauen und verstärkt Kredite zu vergeben, was die Geldmenge und tendenziell auch die Inflation erhöhen kann.

Der Blick auf Leitzins und Konjunktur

Günstige Kapitalkosten, ermöglicht durch niedrige Leitzinsen, wirken wie ein Katalysator für die Wirtschaft. Konsum und Investitionen werden angekurbelt, die Nachfrage steigt. Unternehmen weiten ihre Produktion aus, neue Geschäftsmodelle entstehen, Arbeitsplätze werden geschaffen. Die Wirtschaft floriert.

Doch die Medaille hat zwei Seiten: Wenn die Nachfrage zu stark anzieht und das Angebot nicht Schritt halten kann, droht Inflation. Die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen, Geld verliert an Wert. Um diese Preisentwicklung einzudämmen, erhöhen Zentralbanken wie die EZB den Leitzins.

Leitzins in der Eurozone, Quelle: https://www.leitzinsen.info/eurozone.htm

Die Bekämpfung der Inflation durch Leitzinserhöhungen hat jedoch einen hohen Preis: Investitionen und Konsum werden gedämpft, die Wirtschaft kühlt sich ab. Im schlimmsten Fall kann dies in einer Rezession münden, einem Rückgang der Wirtschaftsleistung über zwei aufeinanderfolgende Quartale. Unternehmen fahren ihre Produktion zurück, Arbeitsplätze gehen verloren, die Arbeitslosigkeit steigt.

Zentralbanken wie die EZB stehen vor der Herausforderung, eine Balance zwischen Preisstabilität und Wirtschaftswachstum zu finden. Zu niedrige Zinsen befeuern die Inflation, zu hohe Zinsen dämpfen die Konjunktur zu stark. Es ist ein schmaler Grat, auf dem die Geldpolitik wandelt.

Leitzins und die Börse

In den Lehrbüchern der Finanzwissenschaften wird stets gepredigt, dass niedrige Zinsen tendenziell zu einer Attraktivitätssteigerung von Aktieninvestments führen. Dies lässt sich auf zwei fundamentale ökonomische Effekte zurückführen:

Sinken der Opportunitätskosten für Anleger

Im Falle eines niedrigen Zinsumfelds sinken die alternativen Renditemöglichkeiten für Investoren. Anleihen, die traditionell als risikoarme Anlageklasse galten, büßen an Attraktivität ein, da ihre Kupons relativ unattraktiv erscheinen. Infolgedessen lenken sich verstärkt Investitionsströme in Richtung Aktien, da diese im Vergleich zu Anleihen die Aussicht auf höhere Renditen bieten, wenngleich auch mit einem gewissen Risiko behaftet.

Verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen

Niedrige Zinsen ermöglichen Unternehmen die Aufnahme von Fremdkapital zu günstigeren Konditionen. Dies wiederum kann zu einer Ausweitung der Investitionstätigkeit und somit zu einem Wachstum des Unternehmenswertes führen. Geringere Finanzierungskosten wirken sich positiv auf die Rentabilität und die Gewinnmargen der Unternehmen aus, was sich wiederum positiv auf die Aktienkurse auswirken kann.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Attraktivität von Aktieninvestments nicht allein vom Leitzins abhängt. Weitere relevante Einflussfaktoren sind unter anderem die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Entwicklung der Unternehmensgewinne und die Risikobereitschaft der Investoren. Vor allem aber die im vorherigen Abschnitt behandelten Zusammenhänge zwischen Leitzins und Konjunktur.

Fazit: Leitzins als Warn-Indikator

Während ein fallender Leitzins laut Lehrbuch dazu führen müsste, dass Anleger vermehrt in Aktien investieren, zeigt sich in der Realität meist ein gegenteiliges Bild. Sicher sinken die Opportunitätskosten und ebenso fundiert ist die Annahme, dass Unternehmen günstiger an Kapital kommen. Im Kontext der Konjunktur dient der Leitzins allerdings als Notbremse. Das Ausarten der Preisentwicklung soll verhindert werden. Der Preis für die Preisstabilität ist eine abkühlende Konjunktur.

Anleger sollten sich zunächst von Zinssenkungen nicht blenden lassen. Eine gewisse Distanz und Analyse des Geschehens im Gesamtkontext ist nötig, um hier eine fundierte Entscheidung zu treffen.

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Kai Heinrich

Kai Heinrich

Kai Heinrich ist seit 2012 im Vorstand der Plutos Vermögensverwaltung AG und verantwortet schwerpunktmäßig die Bereiche Unternehmenssteuerung, Bestandskundenbetreuung, Fondsmanagement und Organisation. Zusätzlich ist er Fondsmanager des Kana NEB Funds und agiert neben Thomas Käsdorf als Co-Fondsmanager des offensiven Mischfonds Plutos Multi Chance.

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